Danielczyk, Julia: Archive für Literatur: Editionsunternehmungen oder hilfswissenschaftliche Institutionen? Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der österr. Literaturarchive (1878-1918)

Im Sinne eines neuen nationalen Selbstverständnisses, das sich ab der Gründung des Deutschen Reiches nicht nur über geografische, sprachliche und politische, sondern auch kulturelle Werte definierte, gewannen literarische Archive unter identitätsstiftender Perspektive neue Bedeutung. Die Gründung des Goethe-Archivs in Weimar sowie die Einrichtung eines eigenständigen Gebäudes unter Erzherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach im Jahr 1886 verweisen auf die neue Wahrnehmung auf literarische Handschriften als "kulturelles Erbe" sowie die veränderte Bedeutung von Autographen als Textgrundlage für editorische Projekte.

Für Österreich ist das Jahr 1878 entscheidend: Der literarische Nachlass von Franz Grillparzer legte in der Wiener Stadtbibliothek den Grundstock für eine systematische Sammlung von literarischen Archiven und Autographen.

Die ersten theoretischen Überlegungen zur Konzeptionen organisierter Literararchive kamen von Wilhelm Dilthey, der 1889 seinen programmatischen Vortrag "Archive für Literatur" veröffentlichte. In Österreich wurde die Diskussion vor dem Hintergrund editorischer Interessen aufgenommen und unter veränderten Prämissen diskutiert. Wesentliche Exponenten für die Einrichtung österreichischer Archive für Literatur waren Carl Glossy, von 1889 bis 1904 Direktor der Wiener Stadtbibliothek, der Prager Literaturhistoriker August Sauer sowie der Literaturwissenschaftler Jakob Minor. Als Vorstandsmitglieder der Grillparzer-Gesellschaft waren sie an der Edition deutschsprachiger österreichischer Literatur interessiert. Von österreichischer Seite ist der Begriff "Literaturarchiv" lange unklar definiert, 1894 veröffentlichte Minor erste Ideen zur Einrichtung von "Centralanstalten für die literaturgeschichtlichen Hilfsarbeiten" , 1903 gründeten Glossy, Sauer und Anton Bettelheim den "Literarischen Verein in Wien" , der die Einrichtung eines eigenständige österreichischen Literaturarchivs vorsah und ein Editionsprogramm vorlegte. Im Verständnis der Aufgaben und Funktionen war das geplante Archiv einerseits als hilfswissenschaftliche Einrichtung zur Unterstützung des akademischen Universitätsbetriebs, andererseits als Editionsunternehmung nach dem Vorbild des Stuttgarter Literarischen Vereins angedacht.

Der Literarische Verein in Wien wurde 1917 aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt konnte er 24 realisierte Bände vorlegen, ein eigenständiges Literaturarchiv wurde nicht eingerichtet.

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